„Wildwood Down“ – Point-and-Click and Down Syndrome

Game Review

„Wildwood Down“ – Point-and-Click and Down Syndrome

Jakob Kelsch

Mit ihrem Spiel Wildwood Down betreten Crashable Studios absolutes Neuland. Der Protagonist des Point-and-Click-Adventures ist ein Mensch mit Down-Syndrom. Ein erster Blick in die Demo des Spiels, das im Herbst erscheinen soll und vor allem darauf, wie die Behinderung in das Spiel integriert wird.

Logo und Menüscreen des Spiels

Crashable Studios ist ein sehr kleiner US-amerikanischer Spieleentwickler, der bisher zwei Titel in eher simpler Pixel-Grafik veröffentlicht hat. Das Spiel Wildwood Down ist das aktuelle und dritte Projekt. Momentan ermöglichen nur ein Trailer und eine Demo auf der Plattform Steam einen ersten Einblick. Diese Demo umfasst ca. die ersten. 30 Minuten des Spiels und illustriert die Spielmechaniken anhand eines kleinen Rätsels. Es handelt sich um ein klassisches Point-and-Click-Adventure: die Spielenden müssen Lokalitäten erkunden, mit NPCs reden, Gegenstände aufsammeln und diese miteinander sowie mit der Umgebung kombinieren und somit Rätsel lösen. Das Besondere an dem Spiel ist, dass es sich bei dem steuerbaren Protagonisten Daniel um einen jungen Mann mit Down-Syndrom handelt. Dieser Protagonist wurde von einem Kindheitsfreund der beiden Entwickler inspiriert und von diesem auch eingesprochen. Damit geht Crashable Studios ungewöhnliche Wege, denn – auch nach eingehender Recherche – findet sich kein Videospiel, in dem eine Figur mit Down Syndrom spielbar ist, ebenso scheinen NPCs mit Down-Syndrom nahezu inexistent. Die einzige Ausnahme ist die Figur Nathan, die in Spieleablegern der Serie South Park in Erscheinung tritt und bei der es sich, folgt sie auch den überzeichnet-satirischen Regeln des seriellen Weltmodells, um eine durchaus interessante Repräsentation handelt. Auch wenn Wildwood Down voraussichtlich erst im dritten Quartal 2024 erscheinen wird, lassen die ersten Eindrücke bereits auf eine gelungene Repräsentation hoffen.

Murder Mystery am Stand – die Handlung

Auf dem Weg nach Wildwood

Die Grundkonzeption der Handlung ist recht simpel: Eine Gruppe von vier High-School-Seniors fährt nach Wildwood (New Jersey), um dort einen Tag am Meer zu verbringen. Unter ihnen ist Dan, der von seiner Schwester mitgenommen wurde. Eigentlich will die Schwester Dan und die beiden anderen nur kurz allein lassen, um etwas im Auto nachzusehen, kommt aber nicht mehr zurück. Auf seiner erfolglosen Suche macht Dan einen grausigen Fund: einer der Gruppe wurde scheinbar ermordet und nur seine Hand, die eine Bierflasche umklammert, ragt aus dem Sand. Zudem belauscht er zwei Gestalten, die scheinbar einen finsteren Plan schmieden. Da die Polizei sich als weitgehend unfähig  erweist?, macht sich Dan auf eigene Faust auf die Suche nach seiner Schwester. Hier endet die Demo des Spiels, das voraussichtlich darin bestehen wird, die Schwester zu finden, den Mord aufzuklären und die finsteren Pläne der noch unbekannten Antagonisten zu durchkreuzen. Der Trailer und die ersten Minuten versprechen eine Mischung aus absurdem Humor, verschrobenen Figuren und Horror- und Mystery-Anklängen.

Daniel macht eine grausige Entdeckung

Obgleich eine eingehende Analyse des Spiels noch nicht möglich ist, lassen sich bereits einige interessante Aspekte bezüglich der Darstellung des Down-Syndroms erkennen: Die bisherige Herangehensweise des Spiels ist vor allem humorvoll, ohne dabei allerdings lächerlich oder respektlos zu werden. Durch den als eingebildeten Narzissten inszenierten Freund der Schwester wird Dan wiederholt als unselbstständiger Klotz am Bein dargestellt. Dan antwortet hier stets mit „I’m not a Baby no more“ und handelt zudem – entgegen der Vorwürfe – deutlich aktiver als der Rest der Gruppe. Hier wird soziale Ausgrenzung und der Vorwurf genereller Uneigenständigkeit thematisiert, mit der sich Menschen mit Down-Syndrom konfrontiert sehen können. Andere NPCs gehen individuell, aber tendenziell positiv mit Dan um. Ob sich hier ein breiteres Spektrum auftut, wird das fertige Game zeigen. Der humorvolle Ansatz scheint sich bisher hervorragend dafür zu eignen, Problematiken im Leben von Menschen mit Down-Syndrom aufzuzeigen, ohne dabei den pädagogisch-moralisierenden Zeigefinger zu erheben.

„It’s not my fault“ – das Gameplay

Die einfache Pixel-Grafik des Spiels würde an sich nicht verraten, dass Daniel anders ist, als die Figuren des Spiels ohne Down-Syndrom. Man sieht sein reales Vorbild jedoch in seiner Spielfilmszene zu Beginn des Spiels, in der er sich als „your local hero“ vorstellt und die Handlung einleitet. Wenn es darum geht, wie er mimisch auf bestimmte Ereignisse reagiert, wird sein Gesicht immer wieder als kleines Bild am unteren Bildschirmrand gezeigt. Es wird also visuell kein Zweifel daran gelassen, dass Dan das Down-Syndrom hat.

Daniel stellt sich vor

Vor allem interessant ist jedoch die Art und Weise, auf die Dan mit seiner Umwelt interagiert. Die Spielenden hören Dans Stimme und Kommentare zu bestimmten Dingen. Zudem gibt es aber auch eine Erzählerstimme, die das kommentiert was er – bzw. die Spielenden – betrachten und tun. Diese Stimme fungiert dabei scheinbar als eine Art Gewissen oder moralische Instanz, die ihm von einigen Handlungen abrät. Denn moralisch einwandfrei handelt Dan nicht, das wird bereits in der Demo eindeutig: Er will Donuts und Kaffee holen. Dabei wird ihm allerdings die Kreditkarte seiner Mutter von einer Möwe gestohlen. Um diese Möwe abzuschießen, benötig er eine Steinschleuder, die er bei einem Limonaden-Trink-Wettbewerb gewinnen kann. Da die anderen zwei Teilnehmer:innen jedoch trinkfester sind als er, muss er deren Limonadentanks manipulieren. Dazu steckt man in einen Tank drei Zitronen, so dass die Limonade zu sauer für den Teilnehmer wird. In einen anderen Tank steckt man eine Zigarette, die man zuvor einem griesgrämigen alten Mann abluchsen muss. Letztlich gewinnt man den Wettbewerb und kann mit Hilfe der Steinschleuder die Kreditkarte zurückbekommen. Zum Abschluss ignoriert man die Anweisungen der Verkäuferin am „Do it yourself“-Donut-Stand, dreht die Fritteuse voll auf und jagt somit das Gerät in die Luft. Jede Ermahnung des Erzählers ignoriert man dabei konsequent. Dennoch kommt man mit allem ungeschoren davon, denn jeder scheint Daniels Unschuldsbekundungen wie „it’s not my fault“ zu glauben oder will sich zumindest nicht gegen einen jungen Mann mit geistiger Behinderung wenden.

Daniel verteidigt sich nach einer Zerstörungsaktion

Das Interessante und Unterhaltsame dabei ist: Dan ist weder so unschuldig noch so unzulänglich, wie ihn seine Umgebung wahrnimmt. Dadurch, dass die Spielenden ihn steuern und man sich den Bedenken des Erzählers widersetzt, ist eindeutig, dass er durchdacht handelt und sich der Konsequenzen bewusst ist. Ganz kalkuliert nutzt man die Vorurteile der NPCs aus und kann somit einen Vorteil aus der Behinderung ziehen.

Ein erstes Fazit

Natürlich kann an dieser Stelle kein abschließendes Urteil über Wildwood Down und dessen Repräsentation des Down-Syndroms gefällt werden, aber die ersten Eindrücke versprechen einen interessanten spielerischen Umgang mit der Behinderung. Auf humorvolle Weise werden hier vor allem die Reaktionen des Umfelds auf den Protagonisten in den Vordergrund gestellt, der die Vorurteile ihm gegenüber nutzt, um potenzielle Nachteile zu kompensieren. Zudem entwickelt sich Identifikationspotential und Sympathie für den Protagonisten. Der Ersteindruck lässt also auf ein gelungenes und inklusives Spielerlebnis hoffen und schürt die Erwartung auf die Vollversion des Spiels.

Bei allen Bildern handelt es sich um Screenshots aus der frei zugänglichen Demoversion des Spiels Wildwood Down (Crashable Studios).