Zu viel Applaus ist ebenso ein Zeichen für mangelnde Qualität wie zu wenig Applaus.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich zum ersten Mal live eine Theateraufführung mit Darsteller:innen mit “geistiger” Behinderung gesehen habe. Das Stück war kurz, dauerte eine knappe Stunde, und war in etliche Szenen unterteilt. Nach jeder Szene klatschte der gesamte Saal. Ich fühlte mich unangenehm berührt. Denn der Applaus galt nach meinem Ermessen nicht den Fähigkeiten der Darsteller, sondern den Fähigkeiten der Darsteller mit geistiger Behinderung (oder soll ich besser sagen: der Darsteller trotz geistiger Behinderung?). Der Regisseur des italienischen Theaters La Ribalta sagte einmal: Beifall während der Aufführung zeigt uns, dass wir Fehler gemacht haben; wir sind dann nicht weit genug gegangen und haben es nicht geschafft, die Bedingungen, unter denen wir spielen, vergessen zu machen.
(Antonio Viganò in: Luca Lòtano, “‘‘Se il teatro non è un po’ malato, rischia di morire’. Intervista ad Antonio Viganò”, in: Teatro e Critica (3.10.2019), https://www.teatroecritica.net/2019/10/se-il-teatro-non-e-un-po-malato-rischia-di-morire-intervista-ad-antonio-vigano/)
Susanne Hartwig