Kinohit Colegas

Film Presentation (in German)

Colegas – wenn Kleinkriminelle mit Behinderung zum Kinohit werden

Mirjam Leuzinger

Brasilien zählt zu den großen Filmnationen Lateinamerikas. Dass ein Film über, mit oder von Menschen mit Behinderung landweiten Erfolg erzielt, ist aber auch dort schwer vorstellbar. Wäre da nicht Colegas!

Der Spielfilm Colegas (2012, Regie: Marcelo Galvão) handelt von drei Jugendlichen mit Down Syndrom, die aus dem Wohnheim ausbrechen und sich mit dem knallroten Cabriolet des Gärtners auf eine Reise quer durch den Süden Brasiliens bis in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires begeben. Alle drei verfolgen einen Herzenswunsch: Stalone (Ariel Goldenberg) möchte das Meer sehen, Márcio (Breno Viola) fliegen und Aninha (Rita Pokk) heiraten.

Was eher harmlos beginnt, entwickelt sich bald zu einer witzigen wie fesselnden Verfolgungsjagd: Polizei und Medien gleichermaßen bleiben den Ausreißern dicht auf den Fersen. Denn die drei verüben Überfälle, lassen Zeitschriften und Süßigkeiten mitlaufen und scheinen zu aller Überraschung so gar nicht dem Klischee der reizenden Mitmenschen mit Down Syndrom zu entsprechen, auch wenn sie die Sympathie und Lacher des Publikums wohl auf ihrer Seite haben.

Vom Kritikerfolg zur geglückten Werbekampagne

Tatsächlich stellt der Regisseur und Drehbuchautor Marcelo Galvão in seinem vierten Spielfilm so einige Klischees auf den Kopf und nimmt dabei auch gerne die Gesellschaft auf die Schippe. Wer bleibt da letztlich noch normal? Genau diese Frage werfen die überspitzten, teils fast peinlich berührenden Darstellungen auf. Sie steht aber auch im Zentrum, wenn der Film einen ernsteren Ton anschlägt und zum Beispiel mit dem Tabu der sexuellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung bricht.

Der außergewöhnliche Erfolg von Colegas ist gleichwohl nicht nur seiner leicht zugänglichen und humorvollen Geschichte geschuldet. Auf mehrere nationale und internationale Preise, darunter auch die Auszeichnung als bester Film in einem der namhaftesten Filmfestivals Brasiliens, dem Festival de Cinema de Gramado, folgten Auftritte des Filmteams in einigen der meistgesehenen Fernsehsendungen des Landes. Immer mittendrin: die drei längst als Sympathieträger ausgewiesenen Hauptdarsteller!

#VemSeanPenn

Für Furore sorgte schließlich auch der Videoclip #VemSeanPenn (dt. #KommSeanPenn), der drei Wochen vor der Filmpremiere viral ging. In diesem lädt Goldenberg, bekennender Sean Penn-Fan, sein Idol zur Erstaufführung nach Brasilien ein. Dem Aufruf schlossen sich bald darauf Persönlichkeiten aus dem brasilianischen Film und Fernsehen an. Selbst die Spieler des Fußballklub Santos – darunter Neymar – skandierten: „Vem, Sean Penn!“ Der zweifache Oscar-Preisträger kam nicht, lud Goldenberg, Viola und Pokk zum Trost aber auf eine Grillparty nach Los Angeles ein. Ein besserer Werbegag für den Film: undenkbar!

Colegas ist und bleibt eine Ausnahmeerscheinung. Dies sollte uns indes nicht vergessen lassen, dass in der brasilianischen Filmbranche Menschen mit Behinderung vor und hinter der Kamera immer häufiger ihre Stimme erheben und auch gehört werden. Davon zeugen etwa das inklusive Filmfestival Assim vivemos oder Produktionen wie O filho eterno (2016, Regie: Paulo Machline) und Sobre rodas (2017, Regie: Mauro D’Addio). Wie für Colegas gilt auch da: Auszubrechen und die Entdeckungsreise zu wagen, lohnt sich!