Ein neues Gemeinsam

Conference Report

Zwischen Universität und Bauernhof

Martha Ehrtmann

Im binationalen Workshop wurde im Rahmen von Theater-, Film-, Kultur- und Sprachwissenschaften Ästhetiken und Möglichkeiten des inklusiven Theaters diskutiert. Höhepunkt war die Buchpräsentation von „Gemeinsam/Together“ auf dem Langlebenhof.

In den ersten Wochen des Sommersemesters bildete der 5. Mai für den Lehrstuhl für Romanische Literaturen und Kulturen den Startschuss in das neue Semester. Der binationalen Workshop, sowie die Buchpräsentation am Abend bereiteten den Weg für die Akkumulation neuer Perspektiven, Erkenntnisse und Inspirationen.

Unter dem Titel „Nuevos enfoques en los Disability Studies” widmeten sich die Teilnehmer der Konferenz von 10 bis 17 Uhr Themen wie Ästhetik und Kreativität im inklusiven Theater und tauschten sich über abgeschlossene wie auch geplante Forschungsprojekte aus. Neben Film- und Theaterwissenschaften trafen während der Tagung auch Literatur und Sprache aufeinander, was zu einem lebendigen Austausch führte. Dabei wurde der Workshop in spanischer Sprache abgehalten, neben Mitarbeiter sowie der Lehrstuhlinhaberin Frau Prof. Dr. Hartwig waren auch Vertreter der Universidad Carlos III aus Madrid mit Prof. Dr. Julio E. Checa anwesend.

Prof. Dr. Susanne Hartwig bei der Eröffnung des Workshops am Vormittag.

Zwei Projekte, ein Thema

Ein besonderes Augenmerk lag im Verlauf des Vormittags auf der Vorstellung der verwandten Forschungsprojekte aus Madrid und Passau: „ReDiArt-XXI“, welches die Repräsentation von Behinderung in den darstellenden Künsten im 20. und 21. Jahrhundert in Spanien beleuchtet, setzt wie auch das Passauer Projekt „Erzählung Erwartung Erfahrung“ wichtige Akzente in den Disability Studies.

Prof. Dr. Julio Checa widmete sich in einer Vorstellung der Rezeption von inklusivem Theater in Spanien den Schwierigkeiten, wie der fehlenden Infrastruktur, den knappen finanziellen Mitteln und der geringen medialen Präsenz der darstellenden Künste. Das Kino sei einfach sichtbarer als das Theater, besonders wenn es um Themen wie Behinderung ginge, so Checa.

Alles anders – oder auch nicht?

Während der anschließenden Diskussionen und Fragerunden nach den Vorträgen kristallisierten sich auch immer wieder mögliche Forschungsprojekte oder neue Untersuchungsfragen heraus. Wie beispielsweise, ob die unterschiedliche Rezeption des Disabled Theaters in Spanien und Deutschland auf einer kulturellen Differenz basiere.

Zudem konzentrierten sich Gespräche immer wieder auf ein Neu- beziehungsweise ein Umdenken vorhandener Forschungsmethoden, da über eine Optimierung der Ansätze, wie eine Verbesserung der Interviews mit Schauspielern, beraten wurde.

Auch das Umschreiben traditioneller Texte, wie anhand des Werkes „Don Quijote“ erläutert, war einer der vielfältigen Inhalte des Workshops. Diese Bestrebungen, Literatur zu überarbeiten und anzupassen, hat das Ziel auch Menschen mit Behinderung einen Zugang zu Kultur und dem Gedächtnis einer Nation oder Gemeinschaft zu ermöglichen.

Ein Abend auf dem Langlebenhof

Den abschließenden Höhepunkt des Tages bildete der Abend auf dem Langlebenhof am Stadtrand von Passau. Dieser Hof verkörpert ein Zuhause für 8 Menschen mit geistiger Behinderung, insgesamt 40 Bewohner leben hier zusammen. „Vom Studenten bis zum Rentner“, so Patrick Buttinger, ein Betreuer der Lebensgemeinschaft. Auf dem Anwesen befindet sich zudem die Produktion der Aronia-Säfte, einer Beerenart, welche in Form des Heimatkracherls als eine saftige Limonade in der Passauer Umgebung großen Anklang findet. Auch in getrockneter Form oder als Marmelade ist diese besondere Beere weiterzuverarbeiten.

Von der Universität auf den Bauernhof – Der Langlebenhof als Eventlokalität für den Abschluss des Workshops.

Mit dem Motto „Menschen mit Beeinträchtigung gehören in die Mitte der Gesellschaft“ findet das Zusammenleben und -arbeiten auf den Langlebenhof schon seit 2014 statt und bildete aus diesem Grund den passenden Raum für die Vorstellung der neuen Publikation „Gemeinsam/Together“. Hierfür fanden sich neben Studierenden des Hauptseminars „Behinderung im spanischen und französischen Theater und Film“ auch die Teilnehmer des Workshops, sowie Interessierte und engagierte Personen aus verschiedenen Kontexten im Langlebenhof ein.

Das Buch wurde von Prof. Dr. Susanne Hartwig in Zusammenarbeit mit Soledad Pereyra gestaltet und beinhaltet Beiträge über 19 inklusive Theater aus Europa. Hier steht die Vision des Gemeinsamen im Mittelpunkt: Das Buch ist gratis zum Download im Internet vorhanden, beinhaltet einige Seiten in leichter Sprache und bespricht neben kurzen Vorstellungen inklusiver Theatergruppen auch Anekdoten und Geschichten, welche aus Interviews mit Regisseuren und Schauspielern generiert wurden.

„Die Praktiker sprechen lassen“

Das heterogene Buch will dabei aber vor allem nicht nur inkludieren, sondern für eine solidarische, offene und kommunikative Gesellschaft eintreten. Der Herausgeberin, Frau Prof. Dr. Hartwig, ist dabei vor allem eines wichtig, was Menschen mit Behinderung durch die Publikation vermittelt werden soll: „Wir inkludieren euch nicht, sondern wir sprechen mit euch“. Es soll um mehr gehen als nur um Inklusion auf dem Papier. Um ein wirkliches Miteinander.

Als besonderer Gast war am Abend auch Gerhard Bruckner anwesend, Gründer und Regisseur des Passauers Theater Brûit. Mit der Lesung seines Textes „Wunderliche Eigenheiten und eigentümliche Verknüpfungen“, welcher auch in „Gemeinsam/Together“ veröffentlicht wurde, gab Bruckner einen Einblick in seine Arbeit im inklusiven Theater.

Rohes Theater

Die kurzweilige Lesung verdeutlichte nicht nur die Entstehung des Theaters, sondern auch die Namensgebung: Gerhard Bruckner gibt den Schauspielern wenig vor, er will sie nicht drängen, sondern für Improvisationsanregungen sorgen. „Es ist ein Prozess des Gebens und Nehmens“, denn was zum Schluss herauskäme wäre natürlich, roh und ungeglättet. Ganz so wie die Schauspieler selbst und der Name ihres Theaters, Theater Brûit.

Das spüren auch die Zuschauer. In der anschließenden Podiumsdiskussion meldete sich eine Zuhörerin, welche schon einmal bei einer Aufführung des Theaters Brûit zugegen war und dankte Bruckner für „dieses große Geschenk“. Man spüre, dass das geschaffene Werk auf der Bühne direkt ins Herz gehe.

Bevor der Tag im Hackelberger Bräustüberl bei einem gemütlichen Zusammensein beendet wurde, galt der letzte Punkt der Tagesordnung der Vorstellung eines Tanzprojekts aus Spanien durch Prof. Dr. Julio Checa. Das eindrucksvolle Video, welches in der Universidad Carlos III in Madrid aufgenommen und von einem Tänzer mit Behinderung und seiner nicht-behinderten Partnerin inszeniert wurde, zog die Anwesenden in den Bann. Die abwechselnden Trommel- und Tanzeinlagen gaben nicht nur einen Eindruck der spanischen Kultur, sondern auch Impressionen einer gelungenen, inklusiven Arbeit in Kultur und Kunst.

Gemeinsam vernetzt

Der Workshop „Nuevos Enfoques en los Disability Studies” sowie insbesondere der Abend am Langlebenhof bildeten nicht nur ein kurzfristiges Aufeinandertreffen und Austauschen, sondern legten auch den Grundstein für das zukünftige Zusammenarbeiten innerhalb eines Netzes aus Wissenschaftlern, Schauspielern, Betreuern, Behinderten und Nicht-Behinderten. Ganz nach dem Motto der vorgestellten Publikation liegt die Zukunft in „Gemeinsam/Together“.

 

Das Buch „Gemeinsam/Together“ ist kostenlos hier verfügbar.