Ihresgleichen

Sollen Menschen mit Behinderung vor allen mit Menschen mit Behinderung zusammensein?

Den Satz: “Sie sind am besten unter Ihresgleichen aufgehoben”, finde ich fürchterlich, wenn damit gemeint ist, dass Menschen mit Behinderung sich am besten in einer Umgebung entfalten, in der möglichst viele Menschen mit Behinderung sind. Erstens möchte ich anzweifeln, dass eine Behinderung darüber entscheidet, wer “meinesgleichen” ist, und zweitens sind Gruppen von Menschen, die ein Stigma teilen, nicht immer die beste Unterstützung. Cloerkes gibt zu bedenken: „Behinderte Menschen unterliegen den gleichen Sozialisationsmechanismen wie nichtbehinderte Menschen, sie orientieren sich an den gleichen gesellschaftlichen Wertmaßstäben und sind selbstverständlich nicht frei von den Vorurteilen, die hier zur Diskussion stehen. Oftmals sind sogar besonders deutliche Distanzierungen von anderen Behinderten bzw. Stigmatisierten zu beobachten […]“ (Günther Cloerkes, Soziologie der Behinderten. Eine Einführung, 3. Aufl., Heidelberg: Winter 2007, S. 115).

Susanne Hartwig

Ihresgleichen

“Jetzt funktioniert es noch. Später sind sie aber lieber mit Ihresgleichen zusammen,” sagt die Erzieherin im Kindergarten.

Die Erzieherin macht diese Zukunftsaussage über das “geistig” behinderte Kind, das mit anderen Kindern zusammen im Garten spielt. Zukunftsaussagen sind immer etwas heikel. Aber für diese Erzieherin scheint die Zukunft eines Kindes mit “geistiger” Behinderung irgendwie einfacher voraussagbar. Ich bin sicher, sie hat auch eine recht klare Vorstellung davon, wen sie mit “Ihresgleichen” meint. Jedenfalls nicht die Kinder, mit denen das “geistig” behinderte Kind gerade im Garten spielt. Welche Möglichkeiten sieht eine solche Erzieherin nicht und welche Konsequenzen hat das für das Kind?

Susanne Hartwig