Wenn wir auf Menschen mit Behinderung treffen, sind unsere Reaktionen oft „überformt“.
Der Soziologe Günther Cloerkes spricht von einem fundamentalen Normenkonflikt im Zusammenhang mit Behinderung. Nach Cloerkes erwartet die Gesellschaft vom Individuum Leistung und Anpassung, die ein Mensch mit Behinderung vielleicht nicht erbringen kann. Dieser wird jedoch nicht sanktioniert – was spontan zu erwarten wäre – , sondern soll sogar auch noch vollumfänglich am sozialen Leben teilnehmen dürfen. Spontane Reaktionen treten also mit „offiziell erwünschten Reaktionen“ in einen Widerspruch. Eine Kompromisslösung ist oft eine „überformte“ soziale Reaktion, bei der spontane und „sozial erwünschte“ Reaktion unverbunden und als Widerspruch nebeneinander bestehen bleiben. Sie kann daher nur zu einer Scheinakzeptierung von Menschen mit Behinderung führen (vgl. Cloerkes 2014, 127-130)
(Günther Cloerkes, Soziologie der Behinderten. Eine Einführung, 3. Aufl., Heidelberg: Winter 2007, S. 127-130)
Susanne Hartwig