Starren

Eine Frau mit Behinderung berichtet mir davon, wie sehr sie es hasst, angestarrt zu werden.

„Blicke, Getuschel, neugierige Fragen, ich hasse das“, sagt sie. Ich folge ihren lebhaften Schilderungen mit Anteilnahme. Überall der Exot sein, immer auffallen. Ich stelle mir das sehr anstrengend vor. Und doch habe ich auch Verständnis für diejenigen, die länger hinschauen (und nicht für die, die tuscheln, lachen, distanzlose Fragen stellen oder Ähnliches). Ich habe Verständnis für diejenigen, die länger hinschauen. Denn sie schauen immerhin nicht peinlich berührt weg und immerhin nicht politisch korrekt verkrampft zur Seite. Klar: Anstarren ist respektlos und man sollte sich da schon im Griff haben. Aber peinlich auf Korrektheit bedacht in die Luft zu starren führt nur dazu, dass Behinderung etwas ganz Unangenehmes, etwas ganz Unnatürliches, etwas Bloß-zu-Vermeidendes wird. Und das ist gefährlich.

Susanne Hartwig