„Was soll das überhaupt heißen, besser so?“

Reflection

„Was soll das überhaupt heißen, besser so?“

Viktoria Geldner

Mareike Fallwickl (geb. 1983 bei Salzburg) hat (wieder) ein Buch geschrieben, das literarisch wertvoll, intellektuell fordernd und, im besten Sinne, nicht einfach zu lesen ist. Fallwickl weiß, was wehtut und wie es in Worte zu fassen ist.

Fallwickl (@the_zuckergoscherl) arbeitet laut eigener Aussage auf ihrem Instagramprofil „mit daran, the patriarchy zu smashen“ und schreibt in diesem Rahmen unter anderem über die ungleiche Aufteilung sogenannter „Care Arbeit“. Ganz am Rande tangiert ihr neuer Roman dabei auch das Thema Behinderung, da Behinderung oftmals Care Arbeit involviert. In Und alle so still war einer der Hauptcharaktere, Ruth, Mutter eines Kindes mit Behinderung und äußert sich diesbezüglich folgendermaßen:

„Sie hat ihn beerdigt, und sie hat es niemandem erzählt. Sie hat sich eine neue Arbeit gesucht und es vermieden, zu Hause zu sein. Von den Kollegen hat niemand sie und ihre Geschichte gekannt. Irgendwann war einfach klar, auf Ruth wartet niemand, Ruth springt immer ein, Ruth arbeitet an Weihnachten und an Silvester, Ruth fährt nicht in den Urlaub. Und wenn es mal zur Sprache kam, ganz selten, dass sie ein Kind gehabt hat, ein Kind mit einer schweren Behinderung, haben die Leute ihr Sätze um den Hals gelegt wie «Es war besser so, für alle», während sie am liebsten gesagt hätte: Das Vermissen sitzt mir unter allen Nägeln wie ein heißes Stechen, zwanzig Linien pulsieren von meinen Füßen und Händen bis zu meinem Herzen, es reißt und es tuckert, und es hört nie auf. So muss ich ihn seit zwölf Jahren bewegen, diesen Körper.

Was soll das überhaupt heißen, besser so? In ihrem ableistischen Denken gehen sie davon aus, dass willkürlich festgelegte Normierungen zu Gesundheit, Mobilität und Sprachfähigkeit bestimmen, ob ein Leben lebenswert ist. Wenn ein Kind stirbt, gibt es in der kollektiven Trauer viel Verständnis. Wenn ein behindertes Kind stirbt, ist das nicht so. «Betrachte es als Befreiung, das war ja kein Leben», sagen sie und meinen eigentlich sich selbst. Dass sie froh sind, dass dieses Leben beendet ist und sie befreit sind davon. Arschlöcher.“

Fallwickl vermittelt dabei mit ihrer unangestrengten, eindringlichen Art zu erzählen, wie schnell Leben von außen als ‚nicht lebenswert‘ erachtet wird und wie tief die Annahme Behinderung = Krankheit in unserer Gesellschaft verankert ist, und dass dem nicht so ist. Und alle so still, welches wie Die Wut, die bleibt für die Bühne adaptiert wird, ist dementsprechend auch für das Thema Care Arbeit/ Behinderung von Interesse, und des Weiteren schlichtweg ein empfehlenswerter, spannender, zeitgenössischer Roman.

Zitat aus: Fallwickl, Mareike.2024. Und alle so still. Rowolth Verlag GmbH, Hamburg. Seite 80.